04.09.2023rss_feed

Agrarausschuss thematisiert Zukunft der Thüringer Schweinehaltung

Ausschussmitglieder während der Beratung am 31.8.23 im Stall
© IGS Thüringen e.V.

Die Mitglieder des Thüringer Ausschusses für Infrastruktur, Landwirtschaft und Forsten (ALF) haben sich bereits zum zweiten Mal in 2023 mit der Zukunft der Schweinehaltung in Thüringen befasst: Am 31. August nutzten sie eine auswärtige Ausschusssitzung, um ein mündliches Anhörungsverfahren durchzuführen. Neben IGS Thüringen e.V. und TBV e.V., die als Sachverständige eingeladen waren, nahm auch Landwirtschaftsministerin Susanna Karawanskij an der Ausschusssitzung teil.
Der Schwerpunkt lag dabei darauf, den Abgeordneten die drängendsten Probleme der Schweinehalter an einem Praxisbeispiel zu verdeutlichen. Aus diesem Grund wurde das mündliche Anhörungsverfahren mit einer Besichtigung der Tierproduktion Alkersleben GmbH, einem Mitgliedsbetrieb von IGS und TBV, verbunden. Mit einer gemeinsamen Stellungnahme hatten sich IGS und TBV bereits im Vorfeld zu ausgewählten Themen positioniert und Lösungsvorschläge zur Diskussion gestellt. Insbesondere wurden dabei die im Dezember 2022 und Mai 2023 geänderten Ausführungshinweise der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (und dem geforderten größeren Wendekreis für Sauen in Abferkelbuchten), das Bundesförderprogramm, die TA-Luft sowie das erst kürzlich in Kraft getretene Tierhaltungskennzeichnungsgesetz angesprochen.
Nach der letzten Bestandserhebung vom Mai 2023 werden im Freistaat aktuell mit 617.300 Schweinen (TLS, 2023) nur noch 80% der Tiere gehalten, die vor 20 Jahren in Thüringer Ställen standen. Im Bratwurstland Thüringen liegt der Selbstversorgungsgrad mit regionalen Schweinefleischprodukten aktuell bei einem Pro-Kopf-Verbrauch von 40,2 kg bei 69%. Die vielfältigen Herausforderungen stellen die Zukunft der konventionellen Schweinehalter im Freistaat und in Deutschland grundsätzlich in Frage.
Wir wollen weiter Schweine in Thüringen halten, entsprechend den Wünschen der Verbraucher nach mehr Tierwohl und mit höheren Platzangeboten zukunftsfähig aber gleichzeitig auch wirtschaftlich. Dafür brauchen wir verlässliche politische Weichenstellungen. Um diese vorzubereiten bzw. umzusetzen, benötigen wir ihre Unterstützung, so Betriebsleiterin Melanie Große Vorspohl bei der Begrüßung der mehr als 25 Besucher umfassenden Gruppe von Landespolitikern aller Parteien und Ministerin Karawanskij.


Ministerin Karawanskij und Ausschussvorsitzende Hoffmann im Abferkelstall
© IGS Thüringen e.V.

Als spezialisierte Sauenhalter hält die Poels-Gruppe in Alkersleben 5.100 Sauen und verkauft jährlich knapp 160.000 Ferkel über die RVG in ganz Deutschland. Auch sie wollen ihren Betrieb fit für die Zukunft machen.

Mit den aktuellen Rahmenbedingungen, d.h. der geltenden Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung und den dazu vorgelegten Ausführungshinweisen wird die verlässliche und rechtssichere Umsetzung im Abferkelbereich schwer gemacht. Der Stein des Anstoßes ist die Formulierung §24 Absatz 4 der TierSchNutztV … ein ungehindertes Umdrehen ermöglichen, deren Konsequenzen dargestellt und diskutiert wurden. Die engagierte Betriebsleiterin argumentierte überzeugend: Natürlich muss sich eine Sau in der Bewegungsphase in der Abferkelbucht ungehindert ablegen, aufstehen und umdrehen können. Wir wollen auch, dass Sauen einen entsprechend lang dimensionierten Bereich haben, in dem sie stehen und liegen können, der mindestens der Länge der Sau entspricht. Da jedoch fast alle konventionellen bzw. auch Bio-Freilaufbuchten, die in der Zwischenzeit eingebaut wurden, mit den geforderten Maßen zum Durchmesser des Wendekreises nicht zusammenpassen, stehen den betroffenen Betrieben trotz vorfristiger Verbesserung der Haltungsbedingungen wieder Änderungen bevor – das ist weder verhältnismäßig noch finanzierbar. Allen umbauwilligen Betrieben wird die Entscheidung unnötig schwer gemacht, so dass, wie schon auf dem 2. Thüringer Schweinegipfel diskutiert, eine Nachjustierung dringend notwendig erscheint.

Für den bis Februar 2029 zu realisierenden Umbau des Deckbereiches zu einer Arena mit mind. 5 m² je Sau erörterte die Sauenhalterin die Konsequenzen der noch fehlenden Vollzugshinweise zu den Anforderungen der TA Luft, die seit mehr als zwei Jahren durch die Bund/Länder-Adhoc-Arbeitsgruppe Immissionsschutz, einem Arbeitsgremium der Umweltministerkonferenz, bearbeitet werden, aber noch nicht vorliegen. Unsere zuständigen Behörden müssen auch aus immissionsschutz-rechtlicher Perspektive rechtssichere Genehmigungen erlassen können, um den gewünschten Umbau zu tierwohlgerechten Ställen zu ermöglichen! mahnte Frau Große Vorspohl an.

In der Abschlussdiskussion positionierte sich Ministerin Karawanskij zum Thema Ende der Borchert-Kommission sehr deutlich: Die Bundesregierung gefährdet den ländlichen Raum und eine zukunftsfähige Nutztierhaltung in Deutschland. Ich habe bereits für die im Herbst anstehende Agrarministerkonferenz ankündigt, das Thema erneut auf die Agenda zu setzen und gemeinsam mit den anderen Ländern die Bundesregierung zur Einhaltung des versprochenen Umbaus der Nutztierhaltung zu drängen.

Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, nach seinem Vorsitzenden, Bundeslandwirtschaftsminister a.D. Jochen Borchert auch Borchert-Kommission genannt, hatte bekanntlich Empfehlungen für eine praktikable Anhebung des Tierwohlniveaus auf breiter Ebene erarbeitet. Die Finanzierung und Machbarkeit der geplanten Maßnahmen wurde durch unabhängige Gutachten bescheinigt und fand breite Zustimmung. Der Finanzierungsbedarf zur Umsetzung der Konzepte wurde mit jährlich rd. 3 bis 4 Milliarden Euro kalkuliert. Vom BMEL freigegeben wurden lediglich 1 Milliarde Euro für vier Jahre, allerdings nur für einen Bruchteil der Betriebe, die bereits im Premiumsegment wirtschaften. Die hohen Anforderungen bei den Förderbedingungen schließen 90 % der konventionell wirtschaftenden Schweinehalter von vornherein aus.

Resümierend fassten Ausschussmitglieder und IGS-Vertreter das Ergebnis der mündlichen Anhörung zusammen: Markus Malsch, CDU, betonte Wir haben heute erlebt: Die Thüringer Schweinehaltung ist vertrauenswürdig. Wir müssen uns stark dafür einsetzen, dass die Betriebe endlich Rechts- und Planungssicherheit haben. Dafür sollte sich auch die Troika unserer für Landwirtschaft, Umwelt bzw. Tierschutz zuständigen Landesministerien gleichgerichtet mit einer Stimme einsetzen.. Dr. Gudrun Lukin, Die Linke, unterstrich, dass die Ergebnisse der Borchert-Kommission eine wichtige Richtschnur für die Transformationsprozess der Tierhaltung waren. Deshalb müssen sich Bund und Länder nochmal zusammen setzen, um Lösungen zu finden. Das auch um bezüglich regionaler Erzeugung in Deutschland und Reduzierung der Tiertransporte akzeptable Lösungen zu finden. Eine Verlagerung der Tierhaltung nützt keinem. Dirk Bergner, FDP, hob hervor, dass es dringend notwendig ist, auch der regionalen Schlachtung wieder einen höheren Stellenwert beizumessen. Dies ist umso wichtiger, da auch der letzte Großschlachthof in Mitteldeutschland seine Schlachtungen stark zurückfährt und damit die bestehenden Abhängigkeiten zu Unwuchten führen können. Die möglichen Konsequenzen sind für Andrè Telle, Vorstandsvorsitzender einer ostthüringer Agrargenossenschaft sehr gegenwärtig. Als einer der ersten Thüringer Ebermäster steht für mich bei einer möglichen Abnahmebeschränkung der unkastrierten Mastschweine durch Tönnies Weißenfels viel auf dem Spiel. Im Ernstfall wüssten wir nicht, wohin mit den Ebern. Die männlichen Ferkel dann wieder zu kastrieren ist eine Vision, über die ich aus verschiedenen Gründen (Tierschutz, Arbeitskräfte) jetzt nicht nachdenken möchte. Als Vorstandsvorsitzender der IGS Thüringen dankte er den Ausschussmitgliedern, dem TMIL und Frau Ministerin Karawanskij für diese sehr konstruktive Beratung und die Möglichkeit, die Nöte der Schweinehalter anzusprechen. Wenn es zudem gelingen konnte, die Botschaft Vertraut der Thüringer Landwirtschaft, vertraut den Thüringer Tierhaltern, dann seid ihr auf der sicheren Seite! zu vermitteln, dann tragt diese als Abgeordnete in euren Wahlkreisen weiter, bat er die Ausschussmitglieder.